Fußfesseln und Grundrechte

Elektronische Fußfesseln zur Aufenthaltskontrolle „terroristischer Gefährder“

Die Bremer Polizei sollte nach dem ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurf zur Änderung des Bremer Polizeigesetzes dazu ermächtigt werden, mutmaßliche „terroristische Gefährder“ vorsorglich in elektronische Fußfesseln zu legen, um ihre Bewegungen, verhängte Aufenthalts- und Kontaktverbote wochenlang kontrollieren zu können (§ 33f PolGE). Nach einer richterlichen Anordnung sollten solche Freiheitsbeschränkungen mit einer elektronischen Fußfessel über GPS überwacht werden, selbst innerhalb von Wohnungen (dort aber nur eingeschränkt). Zulässig sollte dies dann sein, so heißt es in dem Gesetzentwurf wörtlich, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass die betreffende Person „innerhalb absehbarer Zeit auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine terroristische Straftat begehen wird“, „oder das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb absehbarer Zeit eine terroristische Straftat begehen wird“, um sie „durch die Überwachung und die Datenverwendung von der Begehung dieser Straftaten abzuhalten“. Klingt ziemlich schwammig – doch bloße Mutmaßungen in die Zukunft lassen sich eben kaum präziser formulieren.

Die elektronische Überwachungsmaßnahme im Vorfeld potentieller Straftaten ist nach dem Entwurf auf höchstens drei Monate zu befristen, kann aber um jeweils drei Monate verlängert werden – das heißt im Zweifel: unbeschränkt. Wer der Anordnung zuwiderhandelt, soll mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden können (§ 84 Abs. 1 Nr.2 PolGE).

Solche eingriffsintensiven polizeilichen Präventivmaßnahmen, die Bewegungsprofile liefern und Rückschlüsse auf die persönliche Lebensführung der Betroffenen zulassen, sollten gegen sogenannte Gefährder verhängt werden – also gegen Menschen, die bislang nicht straffällig geworden sind, denen dies aber in Zukunft polizeilicherseits zugetraut wird und zwar aufgrund bloßer Indizien und Annahmen oder möglicher Absichten und Gesinnung. Wie, so fragt man sich, lässt sich dabei verhindern, dass etwa institutioneller Rassismus und Islamophobie zu folgenschweren Einschätzungen führen?

Solche Prognosen für künftiges mutmaßliches Verhalten können entweder aus polizeilichen Erkenntnissen oder geheimdienstlichen Persönlichkeits- und Kontaktprofilen oder auch aus Risikobewertungen per Computeranalyse (Precrime-Programmen) resultieren.

Hier dürfte der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt sein, weil mehr oder weniger vage Mutmaßungen zu gravierenden Grundrechtseingriffen führen. Denn die Rund-um-die-Uhr-Überwachung schränkt die Betroffenen, die ja als unschuldig zu gelten haben, unmittelbar in ihrer Handlungs- und Bewegungsfreiheit ein, verletzt ihre Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte – und damit auch ihre Menschenwürde. Solche verhaltenssteuernden und freiheitsbeschränkenden Präventivmaßnahmen gleichen einer vorweggenommenen Verdachtsstrafe – also einer rechtsstaatswidrigen Strafe ohne Tat.

Im Übrigen dürfte die elektronische Fußfessel, die ohnehin relativ leicht manipulierbar und entfernbar ist, im Ernstfall auch ungeeignet zur Verhinderung terroristischer Straftaten sein – besonders wenn es sich um potentielle Täter handelt, die zu allem entschlossen sind: So trug etwa einer der beiden Täter, die 2016 einem katholischen Pfarrer in der Normandie die Kehle durchtrennten, eine elektronische Fußfessel; und auch das Berliner Attentat auf dem Weihnachtsmarkt Ende 2016 hätte damit wohl kaum verhindert werden können – wohl aber mit anderen, längst gesetzlich erlaubten Polizeibefugnissen, die aber, wie sich herausgestellt hat, nicht genutzt worden sind. Die elektronische Fußfessel, wie sie auf Bundesebene und in anderen Polizeigesetzen der Länder bereits legalisiert oder aber geplant ist, erweist sich also letztlich als Placebo – als reine Symbolpolitik, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mit unhaltbaren Sicherheitsversprechen täuscht.

Der Bremer Gesetzentwurf des Innensenators (SPD) reiht sich ein in eine bundesweite Entwicklung, mit der mühsam errungene Grund– und Freiheitsrechte abermals massiv eingeschränkt werden, um vermeintlich mehr Sicherheit zu erreichen. Insgesamt gesehen handelt es sich um einen weiteren, verfassungsrechtlich hoch problematischen Schritt in Richtung eines präventiven Sicherheitsstaates, der seit 9/11 im Zuge einer ausufernden Sicherheits- und Antiterrorpolitik längst schon bedrohliche Konturen angenommen hat. Der bündnisgrüne Koalitionspartner in Bremen hat nach heftiger öffentlicher Kritik an dem Entwurf den Gesetzgebungsprozess im Frühjahr 2018 konsequenterweise aufgekündigt.

Rolf Gössner
(Internationale Liga für Menschenrechte)

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